Es war einmal ein Papierknöllchen...

#1 von Millerntorist , 08.05.2009 14:03



Stell Dir einmal vor, Du bist HSV-Fan - gut, zugegeben, es ist schwer vorstellbar, aber versuch es wenigstens einmal.

Also nochmal, stell Dir vor, Du gehst seit 30 Jahren Wochenende für Wochenende ins HSV Stadion. Anfangs, als Du noch ein kleiner Junge warst, nahm Dich Dein Vater an die Hand, später dann als Jugendlicher hattest Du Deinen Stammplatz in der Fan-Kurve. Der Stadionneubau kam, Du hattest nun Deinen neuen Stammplatz in der Nordgeraden. Mittlerweile bist Du selber Vater, gehst weiterhin Wochenende für Wochenende mit Deinem Sohn ins Stadion. Den Stehplatz in der Nordgeraden hast Du deshalb gegen einen Sitzplatz auf der Südtribüne in der Nähe der Eckfahne eingetauscht. Es ist ein schöner Platz, Du kannst gut sehen und bist nicht weit vom Spielgeschehen entfernt. Mittlerweile finden die Spiele nicht mehr nur am Wochenende statt, es gibt auch viele Spiele am Mittwoch- und Donnerstagabend. Dein Sohn ist noch zu klein, um Dich hier abends zu begleiten, deshalb gehst Du zu diesen Spielen mit Deinen alten Kumpels aus der Nordgeraden.

So auch an einem Donnerstagabend im Mai 2009. Es ist das UEFA-Pokal-Halbfinal-Rückspiel und es geht ausgerechnet gegen den Erzrivalen aus Bremen. Den ganzen Tag summst Du schon "Was ist grün und stinkt nach Fisch" und "scheiß Werder Brehm, scheiß Werder Brehm". Deine Freude auf das Spiel steigt von Minute zu Minute. Noch ahnst Du nicht, das Du heute Deinen großen Auftritt haben wirst, Deinen GANZ großen Auftritt, den vermutlich größten Auftritt Deines Lebens. Die Fans in der Nordkurve haben sich dieses Mal eine besondere Choreographie zum Einmarsch der Mannschaften ausgedacht. Nicht nur die Nordtribüne beteiligt sich, nein, das ganze Stadion ist mit dabei. Auch auf West-, Ost- und Südtribüne wurden blaue, schwarze und weiße Papierzettel verteilt. Jeder Zuschauer hielt beim Einmarsch der Spieler seinen Zettel in die Höhe. Du hattest einen weißen Zettel bekommen. Voller Stolz strecktest Du ihn in den Abendhimmel und sangst aus Leibeskräften "Hamburg, meine Perle". Die Stimmung kochte langsam über, die Nerven waren zum Zerreißen angespannt, und noch immer hattest Du keine Ahnung, welche Wendung dieser Abend nehmen sollte.



Das Spiel begann furios, nach einer 100%igen Chance der Bremer gelang Deiner Mannschaft im Gegenzug das wichtige 1:0, der Jubel war unbeschreiblich. Es wurde lauthals "Istanbul ist schöner als Berlin" gesungen. Doch mit fortschreitender Spieldauer änderte sich das Bild, der Gegner wurde stärker und stärker und kam noch vor der Pause zum 1:1 Ausgleich. In der Pause beruhigten sich die Gemüter wieder ein wenig, doch in der zweiten Halbzeit wurde es dramatisch. Du und Deine Kumpels steigerten sich in eine Stimmung, die Dein Leben für immer verändern sollte. Ein paarmal hattest Du schon Dein Feuerzeug in der Hand und wolltest es aufs Spielfeld werfen. Doch Du konntest Dich im letzten Moment beherrschen. Auch Dein halbvoller Bierbecher, sowie Dein alter Telefonakku war Ziel Deiner Gedanken und hatte den Weg Richtung Spielfeld schon mehrmals halbwegs angetreten, doch auch hier konntest Du Dich im letzten Moment eines besseren besinnen. Du wolltest schließlich niemanden verletzen, sondern nur Deine überschüssige Energie entladen und Deinen Unmut über vermeintlich falsche Entscheidungen kundtun. Schließlich schoß Dir der weiße Zettel durch den Kopf, den Du voller Stolz vor etwas mehr als einer Stunde in die Höhe gehalten hast. Du nahmst ihn, knülltest ihn zusammen und in einem hohen Bogen flog er auf das Spielfeld. Dort lag er erst minutenlang völlig unbemerkt nicht weit von der Eckfahne entfernt, doch er sollte noch eine entscheidende Rolle übernehmen. Ein erneuter Angriff der Bremer kam über die linke Seite, doch es sah so aus als hätte Deine Mannschaft die Situation unter Kontrolle. Da passierte das schier Unfaßbare, der Ball sprang auf das von Dir geworfene Papierkügelchen, änderte dadurch seine Laufbahn und konnte nur noch zur Ecke geklärt werden. Du dachtest noch, Dein Team hat in dieser Saison noch kein Gegentor nach einer Ecke kassiert, was soll also schon passieren. Doch es kam, was kommen mußte, Sekunden später zappelte der Ball doch tatsächlich im Netz, Deine Mannschaft lag 1:3 zurück und war zu diesem Zeitpunkt praktisch ausgeschieden. Man kam zwar noch zum 2:3 Anschlußtreffer, doch es reichte nicht mehr. Der Finaltraum war ausgeträumt. So wurdest Du also zur tragischen Figur des Abends. Kaum jemand wird wissen, das Du das Papierkügelchen geworfen hast, sicher werden sich nicht mal mehr Deine Kumpels daran erinnern, schließlich hatten sie schon ein paar Bier getrunken. Doch Du mußt seitdem ununterbrochen daran denken. Immer wieder siehst Du das Papierkügelchen in Zeitlupe auf das Spielfeld fliegen. Diese Bilder wechseln sich nur noch ab mit dem Bild, wie der Ball das Kügelchen trifft. Du hattest eine verdammt unruhige Nacht und es werden weitere folgen.

Doch einer Sache kannst Du Dir sicher sein, Du bist der einzige HSV-Fan, den man in Bremen gerne sehen wird. So hattest Du also Deinen großen Auftritt, Deinen GANZ großen Aufftritt, den vermutlich größten Auftritt Deines Lebens.

Aber ob Du weiter ins Stadion gehen wirst, das kannst Du heute nicht mehr mit Bestimmtheit sagen.

 
Millerntorist
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RE: Es war einmal ein Papierknöllchen...

#2 von Der mit dem Ball tanzt , 12.05.2009 03:25

Millerntorist, Du must ganz schnell wieder deine Medikamente nehmen

 
Der mit dem Ball tanzt
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